Ein Mann, ein Club, zwei Träume


Public Viewing in einem Nachtclub unter den Schienen der Wiener U-Bahn. Nebenan eine aufstrebende junge Band, die ihr neues Album präsentiert. Vor 36 Jahren führt Othmar Bajlicz im Chelsea das zusammen, was ihm am meisten am Herzen liegt- Fußball und Livemusik. Das Konzept bleibt unverändert- aber hat es sich für ihn nun ausgeträumt?

Foto der Band Strandhase im Gürtellokal Chelsea in Wien
Die Band Strandhase im Gürtellokal Chelsea in Wien © Janika Wanner

Das monotone Rauschen des Verkehrs auf dem Gürtel ist wie eine Hintergrundmusik, die auch zu dieser späten Stunde noch jedes Gespräch untermalt. Hoch oben über den Köpfen rattert die U-Bahn vorbei. Fast im Minutentakt spuckt sie Scharen von Menschen aus. Ein Pärchen geht lachend vorbei, sie halten einander an der einen Hand und ein Wegbier in der anderen. Der Ort, an den es sie heute Abend zieht, liegt relativ versteckt in den U-bahnbögen. Im Gegensatz zu den meisten benachbarten Lokalen gibt es hier keine Glasfassade, durch die man im Halbdunkel schon von weitem ins Innere blicken kann. Aber ein leuchtender Schriftzug in Schreibschrift weist hier den Weg zum Ziel der Feierlustigendas Chelsea.

Vier U-bahnbögen, darin zwei Bars, eine kleine Bühne und reichlich Platz zum Tanzen. Das Konzept des Chelsea ist vielfältig: ein bisschen Nachtclub, ein bisschen Live- Musik, ein Hauch von Pub Atmosphäre. Die Poster an der Wand erzählen von vergangenen Konzerten: Soundgarden, die Toten Hosen, The Wombats. Aber auch unbekanntere, lokale Bands sind darunter. Es gibt kaum freie Stellen an den Wänden, die Räume sind ringsum geschmückt mit Schildern von verschiedenen Biermarken und- für einen Nachtclub eher ungewöhnlich- Zeitungsausschnitten von Fußballspielen.

Denn Fußball und Musik- das sind die beiden großen Leidenschaften des Besitzers und Gründers des Chelsea. Othmar Bajlicz war früher selbst einmal Profifußballer. Seine Karriere im Fußball hat er zwar schon vor 40 Jahren aufgegeben- seine Liebe zu dem Sport aber nie.Deswegen gibt es hier auch regelmäßig Liveübertragungen, wofür mehrere Großbild- Leinwände und Plasma- Screens die Wände zieren.

Das Chelsea war auch nicht immer hier unter den Schienen der Wiener U-Bahn zu Hause. Die ersten acht Jahre nach seiner Gründung im Jahr 1986 war das Chelsea noch ein Underground Club im wahrsten Sinne des Wortes- es befand sich damals im Keller eines Wohnhauses im 8. Bezirk. Aber laute Musik und schlafende Anwohner*Innen, das verträgt sich nicht auf Dauer. Deshalb musste das Chelsea umziehen. Umgeben von U-Bahn und Gürtel stört sich nun niemand mehr an der lauten Musik.

Heute verkünden die Poster am Eingang: Gürtel Connection- 21:30 Strandhase.  Ganz so bekannt wie Soundgarden oder die Toten Hosen ist die Band zwar noch nicht, aber trotzdem wird es schnell eng in den immer voller werdenden U-bahnbögenDas Publikum ist bunt gemischt. Einige hier sind Freunde, Freundinnen oder Familienmitglieder der Band, man kennt sich.  Andere wiederum sind Fremde, die einfach mal schauen wollen, welche Band das Chelsea ihnen heute wieder vorstellt. Die meisten Fans sehen eher alternativ aus, passend zur Musik der Band. Ledermäntel, Crop- Tops, Converse, Netz-Shirts-Die Mode erinnert an die 90er, oder wurde zumindest von dieser Zeit inspiriert.

Der Eintritt an diesem Tag ist eine freiwillige Spende. Fünf oder zehn Euro sind die meisten bereit zu zahlen. Das Geld muss schließlich noch für ein paar Getränke reichen. Die Drinks im Chelsea sind sehr Britisch, zahlreiche englische Biere, Ciders und Whiskeys werden serviert. Vor allem aber sind sie günstig. Einen Cuba Libre für 4,60€ findet man heutzutage in Wien sonst fast nirgendwo mehr. Sobald der erste Durst gestillt ist, kann die Show auch schon losgehen.

„Hallo Chelsea, geht’s euch allen gut?“- „yeaaaah!“ Ein bisschen Rock, ein bisschen Funk, ein bisschen Indie. Das ist die Musik von Strandhase. Die vier Burschen aus Wien wissen, wie man Stimmung macht und ihr Publikum macht gerne mit. Ein paar eingefleischte Fans sind auch dabei, sie kennen ihre Lieblingssongs und fordern sie auch lautstark ein. „Paloma!“ und „Chlorwasser trinken!“  Natürlich kommt die Band diesen Bitten gerne nach. Es wird ausgelassen getanzt und es wird heiß.  Die, die ihre Jacken und Pullover nicht vor dem Konzert bei der Garderobe abgegeben haben, bereuen das spätestens jetzt. In der ersten Reihe werden bereits Pullover auf der Bühne abgelegt, weiter hinten geht das nicht. Purer Zufall oder ein Scherz der Band- das nächste Lied heißt „Tanzen mit Jacke“.

Der letzte Song wird gespielt, die ersten Zigaretten schonmal vorsorglich gedreht- nur anzünden, das ist nicht erlaubt. Ein großes Schild mit durchgestrichener Zigarette erinnert alle, denen es vielleicht beim glückseligen Tanzen entfallen sein könnte, an das Rauchverbot. Die Türen werden geöffnet, frische Luft strömt nach drinnen und die Menge strömt nach draußen. Kurz Luft schnappen oder los zum nächsten Club, die Nacht ist ja noch jung.

Aber nicht alle zieht es nach draußen oder zur nächsten Etappe ihrer abendlichen Kneipentour. In einem der vier U-bahnbögen hat sich eine Menschentraube gebildet, die gebannt auf etwas starrt. Das Objekt des allgemeinen Interesses: eine leuchtende Großbild- Leinwand. Borussia Dortmund gegen Manchester City, Champions League Gruppenphase. Noch steht es Null zu Null. Aber jede Bewegung auf dem Bildschirm wird genaustens verfolgt und kommentiert. Und nebenan sammeln sich schon die ersten wieder auf der Tanzfläche. DJ Noize Director legt gleich auf.

Fußball schauen in Pub Atmosphäre und ekstatisches Tanzen auf dem Dancefloor zu DJ- Musik- im Chelsea ist beides möglich. Auch gleichzeitig. Und Vielfalt ist das, was das Chelsea ausmacht. Eine Bühne für bekannte und unbekannte KünstlerInnen, eine Fußballkneipe und ein Nachtclub, ein Programm für keine bestimmte Altersklasse. Klingt nach Chaos, aber im Chelsea funktioniert es irgendwie. Und das schon seit 36 Jahren. Das Konzept hat sich seitdem kaum verändert. Aber wozu auch? Noch kommt es ja gut an. Und wenn man sich heute Abend hier umschaut, wirkt es auch nicht so, als ob sich daran bald was ändert.


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